Über den Tellerrand


Hier schaue ich auch mal über den Naturbücher-Tellerrand :)


Usama Al Shahmani

In der Fremde sprechen die Bäume arabisch (Uninonsverlag, Zürich)

 

Natürlich haben es mir die „Bäume“ im Titel angetan, warum ich das Buch aufschlug, schließlich kaufte und las.

 

Die Bäume sind ein fester Bestandteil dieses Romans. Jedoch nicht nur. Es ist ein Roman, der von der Suche nach dem vermissten Bruder und Sohn Ali handelt, ein Buch über Krieg, Leid, Terror und ein menschenverachtendes Regime. Und doch auch über Hoffnung. Auch ein Buch über Heimat und das Ankommen (oder Nicht-Ankommen) in der Fremde.

Es ist ein Buch für eine Nacht – zumindest habe ich es nicht wieder weglegen können, bis ich bei der letzten Seite angekommen war, dort, wo auch die Mutter den Verlust des Sohnes endlich in ihr Leben integrieren konnte.

 

Usama Al Shahmani schreibt sehr poetisch über all diese Dinge, und so stark, dass man als Leser/in tief hineingezogen wird in das Leid, welches die Familie von Usama im Speziellen erfährt, aber auch in das Leid eines ganzen Landes. Usama Al Shahmani hat vor seiner Flucht 2002 aus dem Irak arabische Sprache und Literatur studiert. Der Klang des Arabischen kann man im Buch auf jeder Seite „hören“.

 

Diesen Klang hat Usama Al Shahmani in der Schweiz vermisst. Doch er hat ihn gefunden – bei den Bäumen im Wald. Anfangs konnte er die Schweizer nicht verstehen. Warum liebten sie das Wandern. „Wandern“ - ein Wort für das es im Arabischen wohl kein Vergleichbares gibt. Außerdem verbindet man den Wald in der irakischen Kultur mit Ungewissheit und bösen Geistern – warum sollte man an einen solchen Ort gehen? Ja, man verehrt auch die Bäume im Irak (zumindest tat es Usama Al Shahmani’s Großmutter), aber man geht nicht einfach im Wald spazieren. Usama Al Shahmani schreibt „Wir lieben Bäume, aber verabscheuen den Wald“.

 

Und doch traute sich Usama Al Shahmani in den schweizerischen Wald (er wird zu einem richtigen Wanderer mit kompletter Wanderausrüstung), als es in seiner Flüchtlingsunterkunft zu eng wurde und er deprimiert war.

Er trifft als erstes auf einen Baum mit einem gebrochenen Stamm, der jedoch noch immer grün war. Und Usama Al Shahmani fragte sich, woher dieser Baum die Fähigkeit nahm, stehenzubleiben und sich wieder zu verästeln. „Lag es an seinen Wurzeln oder an der Erde, in der er wuchs? Was waren denn Wurzeln? Haben wir Menschen auch welche? … Ich freute mich über den schönen Baum, und es war mir egal, ob seine Wurzeln in Europa oder Asien lagen.“

Diese Worte übrigens waren es, die mich zum Kauf animierten.

 

Wie wäre es, wenn auch wir Menschen nicht nach der Erde (dem Land) fragen würden, in die unsere Mitmenschen geboren sind. Sondern, wenn wir uns „nur“ den Baum (den Menschen) als solches anschauen würden. Ganz unvoreingenommen. Um erst später irgendwann - immer noch unvoreingenommen - etwas von dieser „Erde“ erfahren wollten.

 

Usama Al Shahmani geht also in den Wald – um dort festzustellen, die Bäume reden ja auch arabisch! Denn er spricht mit ihnen (er weiß gerade noch gar nicht, warum er das tut – später macht er es bewusst). Er redet laut zu den Bäumen – und sie antworten ihm auf Arabisch. Arabisch zu hören im Wald war ein gutes Gefühl. Und Usama Al Shahmani verstand in diesem Moment, dass die Natur gar nicht stumm ist, sondern dass man sie nur ansprechen und zuhören musste.

 

Die Kapitel im Buch sind nach Bäumen benannt: Der Baum der Liebe, der Baum der Hoffnung, der Baum der Ungewissheit usw. Allerdings beschreibt nur das erste Kapitel eine so seitenlange intensive Begegnung mit den Bäumen. In den folgenden haben die Bäume und der Wald zwar immer eine zentrale Bedeutung, bekommen allerdings nicht ganz so viel Platz eingeräumt. Vielleicht auch, weil dann im Laufe der Zeit, der Wald als Zufluchtsort für Usama Al Shahmani fast selbstverständlich wird. „Die Flucht in die Natur ist meine zweite, nach der Flucht aus dem Irak. Sie hilft mir, in der Bahn zu bleiben.“ … „Im Wald schaffe ich es, mir selbst zuzuhören…Ich spüre, wie meine Seele sich reinigt und wie ich ein neues Herz erhalte“.

 

Mit solchen Sätzen zwischen den Berichten über Terror, Tod und Sterben wird uns immer wieder bewusst, wieviel Kraft Usama Al Shahmani aus der Begegnung mit den Bäumen zieht. Diese Verbindung wird für ihn von Mal zu Mal wichtiger.

 

Schön ist es, dass wir als Leser/innen auch einiges über die Bedeutung der Bäume im Irak erfahren. Zum Beispiel über den Sidarbaum, den Granatapfelbaum oder die Dattelpalme.

 

Was bleibt nach dem Lesen?

 

Ich habe zuerst einmal die zeitnahe Geschichte des Iraks studiert. Sie ist komplex und für Außenstehende wohl nur schwer komplett zu durchschauen. Doch auch darauf macht uns Usama Al Shahmani neugierig. Denn seine Berichte sind natürlich eher kurz und werden von der Sorge um den plötzlich spurlos verschwundenen Bruder/Sohn bestimmt. Ich wollte dann noch ein bisschen mehr über das Land wissen.

 

Diesen Roman muss man unbedingt ein zweites Mal lesen. Das erste Lesen ist spannend und man möchte gerne wissen, wie die Geschichte (vorerst) endet.

 

Beim zweiten Mal hört man einfach noch viel mehr die sanften Zwischentöne, die Usama Al Shahmani so perfekt beherrscht. Dann muss man das Buch auch nicht auf einmal durchlesen – besser immer mal wieder zur Hand nehmen. Deshalb ist meine Empfehlung: (mindestens) 2-mal lesen.

 

http://www.unionsverlag.com/info/person.asp?pers_id=5453